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Sinnhaftes Gestalten - Bau-Satz | Architektur-Journalismus

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INNENRAUM<br />

Wohlfühlen<br />

<strong>Sinnhaftes</strong> <strong>Gestalten</strong><br />

Innenräume, die von allen Sinnen her entwickelt und gestaltet werden,<br />

forderte der Architekt Hugo Kükelhaus. Er verschrieb dazu allerdings<br />

keine Rezepte analog zur gängigen Literatur über Feng Shui, sondern<br />

ermahnte vielmehr zu einer Wahrnehmungs- und damit Entwurfshaltung.<br />

Dass ausgehend davon konkrete <strong>Architektur</strong> entsteht, zeigen<br />

nicht nur die wohnlichen Zimmer in einem Schweizer Hotel.<br />

■■■■WEB-LINKS<br />

www.hugo-kuekelhaus.de<br />

www.schiff-pfaeffikon.ch<br />

www.graubner.de<br />

Wie ein roter Teppich leiten<br />

mit Patina versehene<br />

Altklinker zum Eingang<br />

des Gasthauses zum<br />

Schiff in Pfäffikon. Gesäumt<br />

werden sie von<br />

neuen Steinen.<br />

Bilder: A. Pilz<br />

ugo Kükelhaus (1900-1984) war<br />

Hnicht nur ein vielseitiger Autor,<br />

sondern auch Architekt, Zimmermann,<br />

Handwerker, Ökologe, Philosoph<br />

und Künstler. In seinem kleinen<br />

Buch „Dennoch heute“ zeichnet<br />

er Ursprung, Wirkung und Symbolgehalt<br />

von wichtigen <strong>Bau</strong>- und<br />

Raumelementen in Wort und Bild<br />

nach. Er beschreibt, wie eine Wandöffnung,<br />

eine Schwelle, ein Tisch<br />

oder ein Stuhl durch Material, Rhythmus,<br />

Form und Farbe unsere Sinne<br />

ansprechen. Gerade ihre Oberflächen<br />

stellen den sinnlichen Kontakt<br />

zum Benutzer her.<br />

Oder wie Kükelhaus formuliert:<br />

„Man kann sogar sagen, dass der<br />

Tastsinn sich darin erfüllt, […] an<br />

der Grenze und am Rande zu spüren,<br />

was sich im Innern ereignet.“<br />

Sein Buch inspiriert, Oberflächen<br />

von Innenräumen mit den Händen<br />

zu entdecken – glatte, frisch glänzende<br />

Lacke, weiche Hölzer, körnig<br />

176 BUND Ökologisch <strong>Bau</strong>en & Renovieren 2008<br />

verputzte Wände und raue Natursteinmauern.<br />

Technikkritischer<br />

Ausgangspunkt<br />

Von einem technikkritischen Ausgangspunkt<br />

aus entwickelte Hugo<br />

Kükelhaus Erfahrungsfelder für alle<br />

Sinne. Er inspirierte damit Architekten<br />

und <strong>Bau</strong>biologen, das Material,<br />

das vorhanden war, zu verwenden –<br />

sei es nun ein bestehendes Gebäude<br />

oder Abbruchmaterialien. Er war<br />

ein Verfechter natürlichen Lichts<br />

und der dazugehörigen Dämmerung,<br />

die erst ein räumliches Sehen<br />

ermöglichen. Der erfolgreiche Kölner<br />

Architekt Peter Busmann kannte<br />

das Multitalent gut. Er entwarf<br />

sich vor über 20 Jahren sein Traumhaus<br />

auf eine unkonventionelle Art<br />

und Weise, die dem Philosophen<br />

alle Ehre gemacht hätte. Peter Busmann<br />

baute ein 200 Jahre altes<br />

Der Künstler Hugo Kükelhaus<br />

Gehöft in ein Winterhaus und ein<br />

Sommerhaus um.<br />

Die alte Scheune, das Sommerhaus,<br />

wurde mit Abbruchsprossenfenstern<br />

ausgebaut, so dass die hohen Räume<br />

aus allen Himmelsrichtungen Tageslicht<br />

erhalten. Im Tages- und Jahreslauf<br />

werden sie so in unterschiedliche<br />

Lichtstimmungen getaucht. Allerdings<br />

sind sie entgegen der Wärmeschutzverordnung<br />

nicht weiter gedämmt<br />

und werden für die Übergangszeiten<br />

nur über einen Kamin geheizt.<br />

Im gut gedämmten Winterhaus hingegen<br />

reicht auch bei großer Kälte<br />

ein zentraler Küchenofen aus, um die<br />

kleinen und niedrigen Räume gemütlich<br />

warm zu halten. Die beiden<br />

Häuser funktionieren so seit Jahren.<br />

Naturfarben und -putze<br />

Vor kurzem baute Wolfram Graubner<br />

die Zimmer in einem alten Gasthof<br />

um und war dabei ebenfalls von<br />

Bild: Stadtarchiv Soest


Bilder: Dynamite Advertising<br />

Nachhaltiges Konzept<br />

Das Gasthaus zum „Schiff“, romantisch gelegen am Zürichsee in<br />

Pfäffikon ist Hotel, Restaurant und Bar. Wolfram Graubner vom<br />

„Planungsbüro für ökologisches <strong>Bau</strong>en Graubner“ hat es nachhaltig<br />

umgeplant und in den letzten 20 Jahren Schritt für Schritt umgebaut.<br />

Er verwendete nicht nur ökologische <strong>Bau</strong>materialien, sondern<br />

betonte auch die für den Charakter des Hauses wesentlichen Dinge.<br />

An der Außenfassade kommt der alte, plastische Putz durch einen<br />

aufgebürsteten Silikatfarbenanstrich sehr schön zur Geltung.<br />

Die Konstruktion bleibt erkennbar, obwohl die alten Deckenbalken<br />

aus Brandschutzgründen verkleidet werden mussten.<br />

Gekalkte Wände: Jedes Zimmer hat eine eigene Stimmung, die<br />

Geschichten für Augen und Hände erzählt.<br />

Zum Berühren schön: Unter dem Dach wurden die neuen Fenster<br />

nur außen lackiert. Innen sind sie geölt – wie die Möbel auch.<br />

AUFWACHEN<br />

UND DAS LEBEN<br />

GENIESSEN<br />

INNENRAUM ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />

Die beste Voraussetzung für erholsamen Schlaf?<br />

Matratzen, Decken und Kissen, die ganz auf Ihre<br />

Bedürfnisse abgestimmt sind. Aus den besten Materialien,<br />

die die Natur zu bieten hat.<br />

Aufwachen und das Leben genießen: Wie das geht,<br />

zeigen wir Ihnen gern im Naturbettenfachhandel<br />

oder unter www.lonsberg.de.<br />

LONSBERG<br />

natürlich schlafen<br />

Ökologisch <strong>Bau</strong>en & Renovieren 2008<br />

BUND 177


■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■<br />

■■■■LITERATUR<br />

Kükelhaus, Hugo: Dennoch<br />

heute. Zürich: Eigenverlag<br />

Annemarie Weber,<br />

1994, 112 S., 16,87 Euro,<br />

Bezug über<br />

www.schlossfreudenberg.de<br />

(Button Schatzkiste)<br />

Kükelhaus, Hugo: Organismus<br />

und Technik. Soest:<br />

Hugo Kükelhaus Gesellschaft<br />

e.V., Neuausgabe,<br />

2006, 88 S., 8,60 Euro<br />

Flagge, Ingeborg (Hrsg.):<br />

Eine <strong>Architektur</strong> für die Sinne.<br />

Berlin: Ernst & Sohn,<br />

2001, 89 S., 18 Euro<br />

In den Bädern wurde auf<br />

Silikon verzichtet. Alle<br />

Hölzer konnten geölt<br />

werden, da ökologische<br />

Pflegemittel verwendet<br />

werden, die rückfettend<br />

wirken.<br />

Markantes Detail – der<br />

handschmeichlerische<br />

Kieselstein als Knauf an<br />

der Duschtüre<br />

Bilder: Dynamite Advertising<br />

INNENRAUM<br />

Hugo Kükelhaus inspiriert. Dieser<br />

hatte die letzten Jahre seines Lebens<br />

bei ihm verbracht. Der Planer Graubner<br />

entwickelte zusammen mit dem<br />

Besitzer des Gasthauses Schiff in<br />

Pfäffikon bei Zürich ein nachhaltiges<br />

Konzept – unter Einbeziehung aller<br />

Sinne. Für die Innenräume bedeutete<br />

das die möglichst konsequente Verwendung<br />

von Naturprodukten für<br />

Farben, Putze und auch Pflegemittel.<br />

20 einladende Gästezimmer bietet<br />

das etwa 200 Jahre alte Gasthaus.<br />

Unüblicherweise gibt es in ihnen<br />

keinen Fernseher, sondern stattdessen<br />

einen großen Tisch an prominenter<br />

Stelle mit einem bequemen Stuhl.<br />

„Wir wollen den Leute all ihre Sinne<br />

einschalten“, erzählt dazu Wolfram<br />

Graubner, für den <strong>Bau</strong>biologie eine<br />

Selbstverständlichkeit ist.<br />

Samtiger Kalk<br />

Alle Oberflächen in den Gästezimmern<br />

sprechen ganz nach Kükelhaus<br />

sowohl die Augen als auch den Tastsinn<br />

an. Das alte Mauerwerk ist mit<br />

einer Kalkfarbe eines Naturfarbenherstellers<br />

geschlämmt, so dass die<br />

Struktur der schieferförmig gebrochenen<br />

Natursteine plastisch sichtbar<br />

wird. Ihre Oberfläche ist samtig weich<br />

und lädt zum Berühren ein. Da ist<br />

178 BUND Ökologisch <strong>Bau</strong>en & Renovieren 2008<br />

wichtig, dass die Gäste nachher keine<br />

weißen Hände oder Jacketts haben.<br />

Dass die moderne Kalkfarbe nicht<br />

kreidet, liegt an ihrer durch Zellulose<br />

verstärkten Bindekraft. Anders als bei<br />

einer reinen Sumpfkalkfarbe genügt<br />

es, mit einer solchen gut deckenden<br />

Farbe zweimal zu streichen, denn sie<br />

enthält zusätzliche Pigmente.<br />

Weiches Holz<br />

Alle Hölzer in den Zimmern sind<br />

geölt, die Holzböden heiß, was die<br />

Farbigkeit des Holzes anfeuert und<br />

seinen Charakter mit den minimalen<br />

Höhenunterschieden zwischen Frühund<br />

Spätholz spürbar lässt. Selbst<br />

hartnäckige Verschmutzungen können<br />

so einfach beseitigt werden.<br />

Anders als bei einer Versiegelung<br />

kann Öl lokal nachgearbeitet werden,<br />

ohne dass Ansätze zu sehen<br />

sind. Die Holzfenster konnten überwiegend<br />

erhalten werden. Jene, die<br />

nach alter Vorlage nachgebaut wurden,<br />

sind innen geölt und nur außen<br />

graublau lackiert. Die alten Holzdecken<br />

allerdings mussten aus Brandschutzgründen<br />

verkleidet werden –<br />

in einer privaten Wohnung wäre das<br />

nicht nötig gewesen. Anstatt die<br />

Decke einfach flächig zu schließen,<br />

ist der strukturgebende Rhythmus<br />

der Balken in der Verkleidung nachgezeichnet<br />

worden. Das Innere am<br />

Äußeren ablesbar zu machen, ist eine<br />

Maxime von Kükelhaus.<br />

Herausforderung<br />

Sie wurde auch im Bad berücksichtigt.<br />

Wer die Duschtüre öffnet, für<br />

den wird die Landschaft noch mal<br />

präsent: Ein Stein, der vor der Haustüre<br />

aufgelesen worden sein könnte,<br />

liegt kühl in der Hand und erzählt<br />

dem, der zuhören möchte, die Geschichte<br />

seiner Entstehung: Wie er<br />

sich, von Eis und Wasser bewegt, an<br />

anderen Steinen gerieben hat, um zu<br />

seiner momentanen handschmeichlerischen<br />

Form zu gelangen.<br />

In den Bädern gibt es so gut wie kein<br />

Silikon. Die Sanitärmöbel sind in Weißzement<br />

gesetzt, was eine Herausforderung<br />

für die Handwerker war. Selbst<br />

die Hölzer der Dusche sind geölt.<br />

Damit das dauerhaft funktioniert, werden<br />

ökologische Pflegemittel verwendet,<br />

die es bei Naturfarbenherstellern<br />

gibt. Die Hölzer werden durch<br />

sie beim Reinigen rückgefettet. Sanitärmöbel<br />

und Kacheln schließlich werden<br />

ohne Essigreiniger gesäubert. Das<br />

danken die Nasen der Nutzer und der<br />

angrenzende Kalkputz. Er wurde ohne<br />

Schienen und Profile nur mit der<br />

Traufel aufgezogen und die Stöße mit<br />

dem Quast verstrichen. Ein solcher<br />

historischer Sakristeiputz fordert<br />

handwerkliches Können. Er kann auch<br />

strukturiert werden, so dass die bewegte<br />

und abwechslungsreiche Oberfläche<br />

mit zum Erscheinungsbild gehört.<br />

In den Bädern wurde für die<br />

Beschichtung des Putzes eine leicht<br />

glänzende, latexähnliche Naturharzfarbe<br />

verwendet, die scheuerbeständig<br />

ist und abgewaschen werden kann.<br />

Historisches <strong>Bau</strong>material<br />

Die Gäste betreten das im Nachbarhaus<br />

gelegene Restaurant durch einen<br />

transparenten Vorbau, vor dem<br />

eine Art roter Teppich ausgerollt ist:<br />

Auf einem mit Klinker ausgelegten<br />

Weg mäandern neue, hellrote Steine<br />

um alte in einem gedeckteren Rotton.<br />

Im Innern kam der örtliche graue<br />

Sandstein namens Kusta zum Einsatz:<br />

bei der Theke sowie bei den<br />

drei kreisförmig angeordneten Handwaschbecken,<br />

die aus einem einzigen<br />

mühlsteinförmigen Monolithen<br />

herausgefräst wurden. Sein Durchmesser<br />

ist beeindruckende 2,5 Meter<br />

groß. Die Wiederverwertung von<br />

historischem <strong>Bau</strong>material erzeugt<br />

nicht nur Atmosphäre, sondern ist<br />

auch Bestandteil des nachhaltigen<br />

Konzepts, das aufgeht: Das Hotel ist<br />

gut gebucht und das Restaurant bis<br />

auf zwei Stunden am frühen Abend<br />

immer voll – besucht von einem sehr<br />

gemischten Publikum, das von Jugendlichen<br />

in Motorradkluft bis zur<br />

Porschefahrerin reicht.<br />

Ein solch breites Spektrum hätte<br />

Hugo Kükelhaus sehr begrüßt, der<br />

immer Brücken geschlagen hat: Sein<br />

zur Nachhaltigkeit animierendes Buch<br />

„Dennoch heute“ verdankt sein Erscheinen<br />

einem Atomphysiker.<br />

Achim Pilz

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